Folge 2: Norse Manweiber

NORSE MANWEIBER
Geschrieben von Bert Plomp

Der Name Ferienkolonie klingt, trotz des angenehmen Elements “Ferien”, das darin mitschwingt, nicht besonders sympathisch. Ferien zu genießen war im Kinderheim überhaupt nicht möglich. Dort herrschte eine strenge, koloniale Herrschaft. Kinder wurden nicht mit Liebe, sondern mit beinahe militärischer Disziplin behandelt. Wie kleine Verbrecher wurden sie von diesen hartherzigen Menschen behandelt. Sie wurden genauso streng behandelt wie Kinder in einer altmodischen Zuchtschule. Mit eiserner Hand wurde ihnen Gehorsam beigebracht.

Dass man abends schlafen gehen musste, war akzeptabel. Dass man auch mittags schlafen musste, war wirklich absurd. Einmal im Bett liegend, bevor man einschlafen durfte, mussten alle Kinder in dieselbe Richtung schauen. Man hatte offensichtlich Angst, dass sie plappern würden oder zu viel sehen oder einen Aufstand anstiften könnten. Nun, dann sollte man sich an einen Straßenjungen aus dem Herzen von Utrecht wenden. Ein eigensinniger Junge, der erst vor Kurzem seinen Kopf in der Drehtür des Hotels Smits am Vredenburg eingeklemmt hatte. Bei dem Versuch, alle in dieselbe Richtung schauen zu lassen, versuchte einer dieser “gestärkten weißen Schürzen” notfalls mit Gewalt deinen Kopf in die gewünschte Richtung zu drehen.

Das Essen, das dir täglich serviert wurde, bestand immer aus den unterschiedlichsten widerlichen Breisorten. Wenn du deine Portion nicht gegessen hattest, selbst nach energischem Drängen, stand bei der nächsten Mahlzeit wieder derselbe Fraß vor dir. Natürlich war nicht alles nur Elend. Es gab auch Lichtblicke. Das tägliche Absteigen in die Dünen zum Strand und das Einatmen der köstlichen salzigen Meeresluft boten viel Ausgleich. Auch das Empfangen von Post von der Familie war ein täglicher Höhepunkt. Am liebsten erhielt ich Postkarten mit Bildern von Revolverhelden wie Roy Rogers. Die Enttäuschung war groß, wenn der Poststapel keine Karte für mich enthielt. Das war wirklich peinlich.

Man wurde auch ermutigt, nach Hause zu schreiben. Aber du solltest es dir nicht in den Kopf setzen, etwas Negatives zu berichten. Die ausgehende Post wurde stets kontrolliert. Man liest oft von Männern, die sich gegenüber schwächeren Personen schlecht benehmen. Nun, viele dieser Ersatzmütter standen diesen Schurken in nichts nach.

Es beeindruckte meine Eltern nicht sonderlich, als ich angab, dass ich inzwischen genug gestärkt war. Dass ich für eine neue Mission in eine Ferienkolonie nicht geeignet war. Dass ich mich gesund wie ein Fisch und stark wie ein Pferd fühlte. Ich dachte, es kann doch nicht ihr Ziel sein, dass ich jemals wie ein muskulöser “Atlas” von einer solchen Expedition zurückkehre. Gleich nach dem Krieg war man leider nicht besonders auf die Gefühle eines Kindes bedacht. Wenn du als Kind etwas zu meckern hattest oder Widerstand leistetest, bekamst du schnell den Vorwurf zu hören, dass du den Krieg nicht erlebt hast. Ich habe diesen Vorwurf so oft gehört, dass ich mir wünschte, den Krieg tatsächlich erlebt zu haben.

Im nächsten Sommer war ich trotz allem wieder dran. Obwohl ich dachte, dass meine Brüder jetzt auch mal Gelegenheit bekommen sollten, sich gut zu erholen und die gesunde Meeres- und Waldluft zu genießen. Das hätte noch jahrelang so weitergehen können. Natürlich nicht länger als bis zu dem Zeitpunkt, an dem ich tatsächlich die Muskeln eines Atlas entwickelt hätte. Am Ende des dritten Ausbildungsjahres kam jedoch plötzlich ein abruptes Ende meiner kolonialen Zeit. In diesem Jahr wurde ich ausnahmsweise in die ausgedehnten Wälder von Arnhem verbannt. Trotz der köstlichen Waldluft erkrankte ich schwer an Ruhr. Aufgrund dieser unangenehmen Krankheit wurde mein Aufenthalt im Wald von Arnhem um weitere zwei Wochen verlängert. Nun war ich der Einzige, der sich noch unter all diesen “gestärkten weißen Schürzen” aufhielt. Diesmal kehrte ich schwächer zurück als ich gegangen war. Deshalb blieb mir ein weiterer Besuch in einer Ferienkolonie erspart.

ENDE

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